Marvin ist 20 Jahre alt und Auszubildender in der Physiotherapie. Auf meine Frage, was ihn zum Lerncoaching führt erklärt er mir, dass er in der Physiotherapieschule immer wieder vor seinem Kurs, der mit ihm die Ausbildung macht zu stottern anfängt, sobald er vor der Gruppe etwas vorstellen soll. Schon 10 min vor Beginn, spätestens wenn die Power Point Präsentation startet, bekommt er Schweißausbrüche, Herzklopfen und würde am liebsten den Raum fluchtartig erlassen. Allein das gute Zureden des Dozenten und der Anblick seines besten Kumpels, der ebenfalls die Ausbildung macht, halten ihn davon ab. Mit Schrecken in den Augen erzählt er von der mündlichen Abschlussprüfung und rechnet schon jetzt mit einem Blackout. Zur Aufgabe ist er immer gut vorbereitet, wenn er anschließend in der Pause mit anderen über das Thema spricht, ist er derjenige, der am Besten sein Fachwissen mitteilen kann.
Das Problem ist eine Lösung.
Wenn wir Stress haben, sind wir im Ausnahme Zustand. Aus der Evolution heraus haben wir gelernt, mit drei Möglichkeiten zu reagieren.
Angriff, Flucht oder Totstellreflex war in der Geschichte des Menschen lange Zeit eine Reaktionsmöglichkeit auf Stress. So ist der Mensch mit der stressigen Situation kompetent umgegangen. Leider ist das in einer Prüfungssituation (und auch die Vorstellung einer Gruppenarbeit ist für Marvin schon so eine Situation) nicht angemessen.
Als erstes erarbeiten wir zusammen ein Ziel, das Marvin in diesem Zusammenhang erreichen will.
Auf einer Skala von 1-10 (1- geringer Stress und 10- maximaler Stress) gibt Marvin sein Stressgefühl mit 8 an. Er ist zwar noch handlungsfähig, kann aber nur ganz leise und schnell sprechen und deshalb lange nicht das zeigen, was er an Fachwissen zu bieten hat.
Als erstes mache ich mich auf die Suche nach einer Ausnahme. Ich frage Marvin, was er in seiner Freizeit so macht und er erzählt, dass er sehr gerne schwimmt und schon seit 3 Jahren Schwimmkurse für Kinder und Erwachsene durchführt. Hierbei spricht er vor jeder Stunde zuerst mit der Gruppe im Schwimmkurs, das sind manchmal 10 oder auch 15 Personen. Es macht ihm hier gar nichts aus, vor der Gruppe zu sprechen.
Als ich ihm klar mache, dass das die gleiche Situation ist wie in der Physiotherapie Schule, ist er ganz erstaunt. Bisher ist ihm das nicht klar gewesen. Er erzählt, dass ihm zu Anfang der Schwimmkurse die Erklärungen für die Teilnehmer nicht so leicht gefallen sind, er inzwischen aber richtig Spaß daran hat und gerne auch mal einen joke einbaut. Er freut sich inzwischen über Fragen der Teilnehmer, fühlt sich sicher und kann dieses Gefühl auch gut beschreiben.
Lerncoaching ist Ressourcenorientiert
Für mich als Lerncoach bedeutet es, dass Marvin sehr wohl in der Lage ist, vor Gruppen souverän zu sprechen, dass allein die Situation in der Schule negativ abgespeichert ist in Marvins Gedächtnis.
In drei Lerncoach Sitzungen lernt Marvin, die positiven Erlebnisse aus der Freizeit in die berufliche Situation zu übertragen. 3 Monate nach dem 3. Lerncoaching bekomme ich eine mail von ihm eine mail und er schreibt, dass seine Aufregung vor der Gruppe, sein Fachwissen zu präsentieren auf der Skala inzwischen bei 4 angekommen ist und er jetzt anschließend auch Fragen beantworten kann. Am Tempo seiner Sprache und seinem Blick ins Publikum will er noch mehr verändern. Inzwischen nutzt er jede Gelegenheit, vor der Klasse zu sprechen oder etwas vorzustellen, um für die mündliche Prüfung ausreichend zu üben.