Als Lilli zum Lerncoaching kam hatte ich direkt den Gedanken: hier könnte es gut harmonieren, wenn auch die Mutter oder der Vater zum Elterncoaching kommen würde. Lilli machte den Eindruck, dass sie sich sehr an ihren Eltern orientierte und es ihnen auf jeden Fall Recht machen wollte. Allerdings klappte das im Bereich Lernen seit diesem Schuljahr nicht mehr so leicht. Parallel bekam ich den Eindruck, dass die 16 jährige zu Hause neben der Schule nicht viele Aufgaben hatte. Als Einzelkind war es kein Problem für ihre Eltern, sich ohne Lillis Hilfe um den Haushalt zu kümmern und ihr alle Wünsche zu erfüllen.
Beim Vorgespräch für das Lerncoaching für Lilli streute ich deshalb im Nebensatz ein, dass es evtl. hilfreich sein könnte, wenn die Eltern auch ein Elterncoaching buchen würden. Ein paar Tage später bekam ich dann eine Terminanfrage.
Zu Beginn des Elterncoachings – in diesem Fall mit der Mutter – hörte ich dann, dass es der Mutter klar war, dass sie mehr Verantwortung an ihre Tochter abgeben wollte, sie aber das Gefühl hatte, dass es schon ziemlich spät sei und sie war unsicher, wo sie beginnen sollte und was passend war für eine 16 jähriges Mädchen.
Mit der Methode Waterline – Prinzip kamen wir dann dem Thema auf die Spur. Frau Z. setzte sich das Ziel: Verantwortung an ihre Tochter abgeben in Schule und im Haushalt. Wir schauten uns erstmal das kommende Jahr an.
Sie schrieb zuerst in Ruhe auf, welche Punkte aktuell regelmäßig zum Streit zwischen ihrer Tochter, ihrem Mann und ihr führten. Das waren z.B. Punkte wie: pünktliches Aufstehen zur Schule oder selbständiges Lernen für Klausuren ( Lilli ging in die 11. Klasse einer Gesamtschule). Insgesamt fand Frau Z. 9 Streitthemen, die sie alle auf einzelne Moderationskarten schrieb. Ihr Ziel formulierte sie im ersten Schritt so, dass beim aufschreiben schon klar wurde, dass es nicht erreichbar ist. Sie wollte ihrer Tochter gar nicht mehr auf die Füße treten und gleichzeitig, dass sie alles alleine und auch direkt gut macht. Ein anderes Ziel, dass allein von der Mutter selbst beeinflussbar ist, ist hier besser: „Ich unterstütze meine Tochter darin, selbständig zu lernen und werde Stück für Stück die Verantwortung an sie abgeben.“
Die Metapher eines Schiffes half hier sehr gut zu entscheiden, welche Punkte das sind. Die Idee ist, dass Löcher im Rumpf des Schiffes unterhalb der Wasseroberfläche das Schiff zum Sinken bringen machte vieles deutlich. Frau Z. ordnete die einzelnen Streitpunkte mit Hilfe des Schiffes und definierte darüber was bedeutet im übertragenen Sinne, dass das Schiff sinkt (Klasse wiederholen, Schulabschluss nicht schaffen etc.) und ordnete dann die Streitpunkte zu. Die Punkte, die aus Sicht der Mutter nicht dazu führen konnten, dass das Schiff sinkt, machte sie oberhalb der Wasseroberfläche fest. Die Streitpunkte, die, wenn sie nicht funktionierten, das Schiff zum sinken bringen konnten, ordnete sie unterhalb der Wasseroberfläche an.
Darüber visualisierte sie selbst, in welchen Streitpunkten sie in Ruhe die Verantwortung abgeben konnte und bei welchen Streitpunkten unbedingt weiterhin Unterstützung notwendig sein würde. Im nächsten Schritt überlegte sie dann konkret, wie die Unterstützung aussehen sollte und minimierte sie so, dass auch hier eine Verantwortungsübergabe in kleinen Schritten stattfand. Zum Abschluss hatte Frau Z. dann ein gutes Gefühl beim Thema Verantwortungsübergabe an die Tochter und einen Plan, wie sie in kleinen Schritten als Nächstes vorgehen wollte. Ich hatte sie lediglich dabei unterstützt, indem ich sie durch den Coachingprozess führte und sie darauf aufmerksam machte, dass Fürsorge für die Kinder grundsätzlich sehr wertvoll ist. Schließlich gibt es genügend Eltern, die sich nicht für die schulischen Leistungen ihrer Kinder interessierten und auch sonst die Kinder in vielen Dingen alleine lassen. Hier ist der goldene Mittelweg wieder sinnvoll.
Drei Monate später schrieb mir Frau Z. eine mail. Am Anfang war es ihr schwergefallen, sich umzustellen. Auch hatte Lilli sich nicht darüber gefreut, dass sie mehr Verantwortung übernehmen sollte. Geholfen hatte Frau Z. die Möglichkeit sich bei einer Freundin auszuheulen, wenn ihr schlechtes Gewissen sie zu sehr plagte. Aber schon nach 4 Wochen bemerkte Frau Z. eine deutliche Veränderung bei ihrer Tochter, die sie schließlich darin bestärkte, den Kurs weiter zu fahren.